Fossil des Monats Juni 2019
Urvogel (rechter Flügel)
Alcmonavis poeschli Rauhut, Tischlinger & Foth, 2019
SNSB-BSPG 2017 I 133
Oberer Jura (ca. 150 Millionen Jahre), Mühlheim bei Mörnsheim, Bayern
Vögel unterscheiden sich fundamental von anderen Wirbeltieren. Nicht nur die Fortbewegung als aktive Flatterflieger ist äußerst ungewöhnlich, sondern auch ihre ganze Anatomie und Physiologie ist anders als bei anderen Gruppen; so haben Vögel eine Durchstromlunge, durch die immer Frischluft strömt und die damit fünf- bis siebenmal so effektiv ist wie eine Säugetierlunge, und ihre Körpertemperatur liegt mit ca. 42 °C deutlich über jener anderer gleichwarmer Tiere.
Es ist somit nicht verwunderlich, dass der Ursprung der Vögel und ihres Fluges eines der »heißen« Themen in der Evolutionsbiologie ist. In der Paläontologie ist dabei ein Taxon aus dem oberen Jura des Altmühltales in Bayern herauszustellen, der Urvogel Archaeopteryx. Nach dem Fund des ersten Exemplares 1861, zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Darwin’s »Origin of species«, war Archaeopteryx für mehr als 100 Jahre das einzige eindeutige Übergangsfossil zwischen Reptilien und Vögeln und hat damit eine zentrale Rolle bei der Diskussion über die Herkunft dieser Gruppe gespielt. Obwohl zahlreiche Funde vogelähnlicher Raubdinosaurier und primitiver Vögel in den letzten 40 Jahren geholfen haben, Archaeopteryx in seinen Kontext zu stellen und die Herkunft der Vögel von den Dinosauriern zu etablieren, gilt dieses Taxon immer noch als der älteste und einzige jurassische flugfähige Vogel.
Im Jahr 2017 wurde in einem Steinbruch in Mühlheim bei Mörnsheim ein neues Urvogel-Exemplar gefunden, von dem allerdings leider nur ein Flügel vorliegt. Das Stück kommt aus der sogenannten Mörnsheim-Formation, ein Gesteinspaket, das oft zu den bekannten »Solnhofener Plattenkalken« gezählt wird, aus denen auch Archaeopteryx stammt. Die Mörnsheim-Formation ist dabei etwas jünger als die Schichten, aus denen die meisten der Exemplare von Archaeopteryx stammen, wobei allerdings ein Fossil des berühmten Urvogels auch aus jener Formation bekannt ist. Somit lag die Vermutung nahe, dass es sich hier um ein weiteres, etwas größeres Exemplar von Archaeopteryx handelt. Sehr detaillierte Vergleiche mit anderen Exemplaren sowie mit etwas fortschrittlicheren Vögeln aus der Kreidezeit Asiens zeigten jedoch, dass dieser isolierte Flügel von einem etwas weiter entwickelten Vogel stammt, für den wir den Namen Alcmonavis poeschli vorgeschlagen haben. Alcmonavis ist somit der zweite bekannte flugfähige Vogel aus der Periode des Jura.
Alcmonavis unterscheidet sich von Archaeopteryx in der Ausprägung verschiedener Muskelansatzstellen am Flügel sowie in der Entwicklung eines sehr robusten zweiten Fingers der Hand. Die besonders gut ausgeprägten Muskelansatzstellen sind dabei von Muskeln, die bei fortschrittlicheren Vögeln eine große Rolle im aktiven Flatterflug spielen, und der besonders robuste zweite Finger dient dem Ansatz der kräftigen Schwungfedern des Flügels. Dies deutet darauf hin, dass sich das Flugvermögen der Vögel schnell entwickelte und Alcmonavis einen weiteren Schritt in Richtung auf die heutigen Vögel darstellt.
Das Fossil umfasst die Gabelbasis eines einfach gegabelten Geweihs der Hirsch-Spezies Heteroprox eggeri. Die beiden Sprossen sind abgebrochen. Resorptionserscheinungen am gegenüberliegenden Ende entsprechen einem Abwurf wie bei heutigen Geweihen. Um Einblick in das Wachstum des Geweihs und mögliche Hinweise auf den damaligen Geweihzyklus zu bekommen, wurden hochauflösende Röntgenbilder mit Hilfe einer Micro-Computertomographie hergestellt, die Untersuchungen des Knochengewebes in 2D und 3D erlauben.
Oliver Rauhut, München
Abbildung:
Flügelknochen von Alcmonavis poeschli. Größe: 82 mm. Foto: SNSB-BSPG/M. Schellenberger
Das Faltblatt mit ausführlichen Informationen zum Fossil des Monats steht wie immer auf der Webseite der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie als PDF-Datei zum Download (1,6 MB) bereit.
Fossil des Monats ist eine regelmäßige Aktion des Paläontologischen Museums München. Hierbei werden jeden Monat besondere Fossilien aus dem Fundus der Staatssammlung ausgestellt und von Wissenschaftlern der Staatssammlung und dem Lehrstuhl Paläontologie und Geobiologie eingehend in Begleittexten und einem Faltblatt erläutert. Die Freunde der Bayerischen Staatssammlung für Geologie und Paläontologie München e.V. unterstützen diese Aktion.