Fossil des Monats September 2021

Steinkoralle Microphyllia sp.

Microphyllia sp., SNSB-BSPG 2013 XXII 33

Oberjura: Oberkimmeridgium, ca. 153 Millionen Jahre, Mergelstetten-Formation/Oberer Massenkalk, Nattheim, östliche Schwäbische Alb, Baden-Württemberg, Deutschland

Durchmesser des Fossils: 7 cm

Steinkorallen sind die Erbauer unserer heute lebenden Riffe in den warm-tropischen, flachen Meeren zum Beispiel der Karibik und des Indopazifiks. Das größte Korallenriff der Welt, das Große Barriere-Riff, erstreckt sich mit ca. 2000 km Länge vor der Nordostküste Australiens.

Steinkorallen gehören zu den Blumentieren (Anthozoa), eine Gruppe innerhalb der Nesseltiere (Cnidaria). Es handelt sich um einfach gebaute, vielzellige Organismen. Die Basiseinheit des Steinkorallengewebes ist der Polyp, ein sack- oder tassenförmiges Gebilde, dessen offenes Ende in eine Mundscheibe mit Schlundrohr umgewandelt ist, welches häufig von einem Tentakelkranz umstanden wird. Das Innere der Polypen ist von sog. Fleischsepten (Mesenterien) radiärsymmetrisch unterteilt. Vor allem im Bereich der Tentakel sind Nesselzellen mit einer Stichvorrichtung entwickelt, die dem Nahrungserwerb dienen. Der Polyp sitzt mit dem Boden auf einer kalkigen Fußscheibe auf, die ihrerseits auf felsigem oder sandigem Substrat festgeheftet ist. Die Basalplatte und die ringförmige Außenwand (Theca) bestehen bei den Steinkorallen aus Kalziumkarbonat (CaCO₃), das von der äußeren Gewebeschicht (Ektoderm) der Polypen gebildet wird. Von der Basalplatte ausgehend bilden sich zwischen den paarigen Mesenterien kalkige Wände, die sog. Sklerosepten. Somit sitzt der lebende Polyp auf einem kalkigen Kelch auf, der die Weichteilstruktur der Koralle gut abbildet. Steinkorallen, v.a. der warmen Flachmeerregionen, sind in der Regel koloniebildend, d.h. unzählige Korallenpolypen bilden einen lebenden Überzug auf teils großen Korallenstöcken, die mehrere Meter Durchmesser und ein Alter von mehreren Hundert Jahren erreichen können.

Zum Nahrungsspektrum von Steinkorallen gehören neben Kleinstorganismen (Zooplankton) auch gelöste organische Materie, die über die Gewebeoberfläche aufgenommen werden kann, und Kohlenhydrate aus der Photosynthese der häufig, v.a. in den tropischen Flachmeeren, mit den Korallen in Symbiose lebenden Algen, den sog. Zooxanthellen. Die Korallen-Zooxanthellen-Symbiose spielt auch eine wichtige Rolle bei der Kalkausscheidung der Korallen.

Microphyllia ist eine typische Steinkorallen-Gattung der oberen Jura-Zeit, in der das Riffwachstum durch ein ausgeglichenes warmes Klima und einen hohen Meeresspiegel mit weit gefluteten Kontinentalrändern generell begünstigt war. So bildete sich entlang des Nordrandes des Urmittelmeeres, der Tethys, vor ca. 155 Mio. Jahren ein mehrere Tausend Kilometer langer, ausgedehnter Korallen- und Schwamm-Riffgürtel, der von Ostspanien über Frankreich, die Schweiz und Süddeutschland bis nach Polen reichte. Diese Riff-Kalksteinkomplexe prägen heute ganze Landschaften wie zum Beispiel den Französisch-Schweizerischen Jura sowie die Schwäbisch-Fränkische Alb.

Unser Fossil des Monats September liegt nicht in kalkiger, sondern in kieseliger Erhaltung vor. Diese Besonderheit beruht auf dem Umstand, dass das ursprünglich kalkige Skelett der Korallen während der Diagenese (Prozess der Verfestigung von Lockersedimenten und die Veränderung des Gesteins bei relativ niedrigen Drücken und Temperaturen) in Kieselsäure (SiO₂) in Form von Quarz bzw. Chalcedon umgewandelt wurde. Dieses Phänomen ist v.a. in den Jura-Riffkalken auf der östlichen Schwäbischen Alb im Raum Heidenheim (Nattheim, Gerstetten) anzutreffen. Der Verkieselung ist es zu verdanken, dass die Korallen so fantastisch erhalten sind. Um die Korallen allerdings von der sie umgebenden Kalk-Grundmasse zu befreien bzw. sie in Gänze überhaupt sichtbar zu machen, bedarf es einer aufwendigen Säurepräparation.

Martin Nose

Abbildungen:

Abbildung 1: Steinkoralle Microphyllia sp., Oberjura, Nattheim, östl. Schwäbische Alb, Baden-Württemberg, Durchmesser: 7 cm; Inv.-Nr. SNSB-BSPG 2013 XXII 33. Foto: SNSB-BSPG/M. Schellenberger. a. (Artikelbild) Gesamtaufnahme, b. Detail.

Abbildung 2: Schema eines Steinkorallen-Polypen (seitlich geöffnet), verändert nach ZIEGLER (1991).

Das Faltblatt mit ausführlichen Informationen zum Fossil des Monats steht wie immer auf der Webseite der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie als PDF-Datei (1,5 MB) zum Download bereit.

Fossil des Monats ist eine regelmäßige Aktion des Paläontologischen Museums München. Hierbei werden jeden Monat besondere Fossilien aus dem Fundus der Staatssammlung ausgestellt und von Wissenschaftlern der Staatssammlung und dem Lehrstuhl Paläontologie und Geobiologie eingehend in Begleittexten und einem Faltblatt erläutert. Die Freunde der Bayerischen Staatssammlung für Geologie und Paläontologie München e.V. unterstützen diese Aktion.