Fossil des Monats August 2023
Rätselhafte Pflanze
Furcifolium longifolium (SEWARD) KRÄUSEL
SNSB-BSPG 1977 XIX 25
Oberjura, ca. 150 Millionen Jahre, Daiting, Landkreis Donau-Ries, Bayern: Länge des Fossils ca. 50 cm
Viele Pflanzen der Urzeit sind als Fossilien überliefert. Man sollte meinen, dass man umso mehr über eine urzeitliche Pflanze sagen kann, je besser die Fossilien dieser Pflanze erhalten sind. Ganz so einfach ist es jedoch in einigen Fällen nicht. Auch wenn die fossilen Überreste gut sind, bleiben das Aussehen und die verwandtschaftliche Zugehörigkeit manch einer Pflanze ungeklärt. Oft liegt es daran, dass die Fossilien Merkmale aufweisen, die man bei keiner der heute lebenden Pflanzen findet, wodurch direkte Vergleiche schwierig sind. Manchmal ist es aber auch so, dass nur bestimmte Teile der Pflanze (z.B. Blätter, Stämme) gefunden werden, und man ohne den Rest einfach nicht weiterkommt. Das als Fossil des Monats August ausgewählte Stück ist solch ein Fall.
Furcifolium longifolium, auch bekannt als Sewardia longifolia, ist ein eigenartiges Fossil, welches bislang nur in den oberjurassischen Plattenkalken von Daiting, Landkreis Donau-Ries, Bayern, gefunden wurde. Die ersten Funde wurden 1907 wissenschaftlich beschrieben. Bei den Fossilien handelt es sich um fast immer relative große, leicht gebogene Achsen, denen auf beiden Seiten und mehr oder weniger paarig angeordnet Seitenorgane bestehend aus mehreren, bis zu 11 cm langen, linealischen Blättern ansitzen – so scheint es zumindest.
Der Frankfurter Paläobotaniker Richard KRÄUSEL (1890–1966) vertrat 1943 die Ansicht, dass es sich bei den Achsen um sogenannte Langtriebe handelt und bei den Seitenorganen um Kurztriebe, also um sehr kurze Äste, an denen mehrere Blätter dicht gedrängt gebildet wurden. Die Einzelblätter wurden, nicht zuletzt aufgrund der nur mäßig guten Erhaltung des Originalmaterials, als einfach gegabelt beschrieben. Die Interpretation der Seitenorgane als Kurztriebe und die Ansicht, die Einzelblätter seien gegabelt, hat zu der bis heute weit verbreiteten Auffassung geführt, es handele sich bei F. longifolium um einen Vertreter der Ginkgogewächse.
Spätere Funde, zu denen auch unser Fossil des Monats gehört, haben jedoch diese Interpretation in Frage gestellt. Walter JUNG (1931–2018), der die Funde eingehend analysierte, kam 1985 zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Seitenorganen nicht um Kurztriebe mit mehreren einfach gegabelten Blättern handelt, sondern dass jedes Seitenorgan ein einzelnes, nahe der Basis mehrfach gegabeltes Blatt oder eine Blattfieder darstellt. Somit kann es sich bei F. longifolium nicht um Langtriebe mit seitlich ansitzenden mehrblättrigen Kurztrieben handeln. Auch die paarige Anordnung der Seitenorgane und die Tatsache, dass die Seitenorgane nicht alle gleich groß sind, sondern zur Basis und zur Spitze der Achsen hin kleiner werden, spricht gegen Kurztriebe. JUNG vermutet, dass es sich um einfach gefiederte Wedel handelt, wie sie zum Beispiel bei den Zykadeen oder den nur fossil bekannten Bennettiteen vorkommen. Jedoch lassen sich die Reste keiner dieser Pflanzengruppen sicher zuordnen; auch Farne, Samenfarne und vielleicht sogar Koniferen kämen für eine Verwandtschaft in Frage.
Seit der Bearbeitung durch JUNG vor fast 40 Jahren sind meines Wissens keine weiteren Erkenntnisse über F. longifolium gewonnen worden, und die Pflanze ist zu einem cold case, einem ungelösten Fall der Paläobotanik geworden.
Michael Krings,
mit Textanleihen bei Walter JUNG (1985)
Literatur: JUNG, W. (1985): Furcifolium KRÄUSEL ist keine Ginkgophyte! – Archaeopteryx 3: 7–13.
Abb. 1: Rätselhafte Pflanze Furcifolium longifolium (SEWARD) KRÄUSEL, Oberjura (ca. 150 Millionen Jahre), Daiting, Landkreis Donau-Ries, Bayern; Länge des Fossils ca. 50 cm, Inv.-Nr.: SNSB-BSPG 1977 XIX 25. Foto: SNSB-BSPG/G. Janßen.
Das Faltblatt mit ausführlichen Informationen zum Fossil des Monats steht wie immer auf der Webseite der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie als PDF-Datei zum Download (413 kB) bereit.
Fossil des Monats ist eine regelmäßige Aktion des Paläontologischen Museums München. Hierbei werden jeden Monat besondere Fossilien aus dem Fundus der Staatssammlung ausgestellt und von Wissenschaftlern der Staatssammlung und dem Lehrstuhl Paläontologie und Geobiologie eingehend in Begleittexten und einem Faltblatt erläutert. Die Freunde der Bayerischen Staatssammlung für Geologie und Paläontologie München e.V. unterstützen diese Aktion.