Fossil des Monats November 2024
Seekuh (Schädel)
Kaupitherium gruelli VOSS & HAMPE, 2017
SNSB-BSPG 1956 I 540
Unter-Oligozän (ca. 30 Millionen Jahre), Alzey-Formation, Mainzer Becken, Eckelsheim, Rheinland-Pfalz
Seekühe (wissenschaftlich: Sirenia) sind Säugetiere, deren Körper an ein Leben im Wasser angepasst ist. Sie haben keine Hinterbeine mehr und die Vorderextremitäten sind zu Flossen umgewandelt. Der Rumpf ist tonnenförmig und der Hals kurz. Der Schwanz trägt am Ende eine kräftige waagerechte Fluke. Lebensraum der Seekühe sind die Küstenbereiche von Atlantik, Indischem Ozean und Pazifik sowie die Flüsse des südamerikanischen Amazonasbeckens und Westafrikas. Sie sind die einzigen aquatischen Säugetiere der modernen Welt, die sich ausschließlich von Pflanzen ernähren. Dank Fossilien und der Molekularbiologie wissen wir, dass ihre nächsten lebenden Verwandten die Elefanten sind. Die Ähnlichkeit mit Walen geht nicht auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück, sondern ist unabhängig voneinander entstanden und beruht ausschließlich auf der Anpassung an den gleichen Lebensraum. Dies ist ein hervorragendes Beispiel für eine biologische Analogie.
Der reiche Fossilbericht liefert einen spannenden Einblick in die allmähliche Transformation der Seekühe von land- zu wasserlebenden Lebewesen und deren ehemaliger Verbreitungsräume in Nordamerika und Europa. Die ältesten uns bekannten Seekühe stammen aus dem frühen Eozän und sind über 50 Millionen Jahre alt, besaßen noch vier Extremitäten, hatten in etwa die Größe eines Schweins und haben sich damals schon gerne im Wasser getummelt. Durch jüngere Funde sind z.B. alle wichtigen Stadien der Reduktion der Hinterbeine im Skelett belegt. Vor ca. 35 Millionen Jahren, im späten Eozän, besaßen Seekühe bereits ein modernes Erscheinungsbild.
Das Fossil des Monats ist der Schädel eines nahezu kompletten Skeletts einer der ersten moderneren Seekühe. Der Schädel ist so außerordentlich gut erhalten, dass er als Referenzstück für die Art Kaupitherium gruelli etabliert wurde. Er zeigt die Seekuh-typische Anatomie mit dem stark vergrößerten und nach unten gebogenen Zwischenkieferknochen, der großen, zurückverlagerten äußeren Nasenöffnung und den markanten Jochbögen. Der Zwischenkieferknochen trägt zwei Stoßzahn-förmige Schneidezähne.
Das Skelett wurde in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts aus den Sanden der Alzey-Formation bei Eckelsheim, südwestlich von Mainz (Rheinland-Pfalz), geborgen. Diese Seekuh kam dort vor ca. 30 Millionen Jahren, vermutlich während eines Sturms, zu Tode. Zu dieser Zeit befand sich im Bereich des heutigen Mitteleuropas keine geschlossene Landmasse, sondern ein von Meeresarmen und -buchten geprägter subtropischer Archipel, der einen idealen Lebensraum für die im warmen Flachwasser heimischen Seekühe bildete. Entsprechend häufig findet man Seekuhfossilien in den Gesteinen aus dieser Zeit. 1956 wurde das Skelett von der Bayerischen Staatssammlung erworben.
Gertrud E. Rössner (München), Manja Voss & Oliver Hampe (beide Berlin)
Abbildung
Schädel einer Seekuh, Kaupitherium gruelli VOSS & HAMPE, 2017. Maße: L x B x H – 33 x 16 x 19 cm. Inv.-Nr.: SNSB-BSPG 1956 I 540. Foto: PMM/M. Schellenberger.
Das Faltblatt mit ausführlichen Informationen zum Fossil des Monats steht wie immer auf der Webseite der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie als PDF-Datei zum Download (624 kB) bereit.
Fossil des Monats ist eine regelmäßige Aktion des Paläontologischen Museums München. Hierbei werden jeden Monat besondere Fossilien aus dem Fundus der Staatssammlung ausgestellt und von Wissenschaftlern der Staatssammlung und dem Lehrstuhl Paläontologie und Geobiologie eingehend in Begleittexten und einem Faltblatt erläutert. Die Freunde der Bayerischen Staatssammlung für Geologie und Paläontologie München e.V. unterstützen diese Aktion.