Fossil des Monats November 2025
Tapirzähniges Schwein
Listriodon splendens MEYER, 1846
Unterkiefer
SNSB-BSPG 1929 I 47
Neogen (Mittelmiozän), ca. 12 Millionen Jahre, Obere Süßwassermolasse, Markt Rettenbach (Schwaben, Bayern)
Im Jahr 1929 erhielt die Bayerische Staatssammlung eine Schenkung fossiler Säugetierreste aus der Tongrube von Markt Rettenbach bei Memmingen. Die Kollektion enthielt auch viele Teile eines Skeletts von Listriodon splendens. Zu dieser Zeit stellten sie den vollständigsten Beleg dieses besonderen Schweins dar und sorgten für eine paläontologische Sensation. Schon 1930 berichtete Ernst Stromer von Reichenbach in einem darüber und bildete den besonders gut erhaltenen Unterkiefer ab. Die meisten der Knochen gingen leider im Zweiten Weltkrieg verloren. Glücklicherweise blieb der Unterkiefer erhalten.
Listriodon splendens war eine große Schweineart, die im Mittleren Miozän vor 14.5 Millionen Jahren aus Asien nach Europa einwanderte und vor 11 Millionen Jahren ausstarb. Im Gegensatz zu anderen, zeitgleich lebenden Schweinen, besaß Listriodon splendens bereits einen langen Gesichtsschädel, der dem heutiger Schweine ähnelt. Die Schneidezähne waren schaufelartig verbreitert und der Geschlechtsdimorphismus in den Eckzähnen war ausgeprägt, mit sehr großen oberen Hauern bei den männlichen und deutlich kleineren bei den weiblichen Tieren. Während bei anderen Schweinen die Allesfresser-Gebisse durch Backenzähne mit gerundeten Höckern auf der Kaufläche charakterisiert sind, tragen die hinteren Backenzähne von Listriodon splendens je zwei Quergrate. Damit war dieses Schwein perfekt an eine spezialisierte, rein pflanzliche Ernährung angepasst.
Listriodon splendens fand in Europa ideale Lebensbedingungen vor. Aufgrund einer weltweiten schrittweisen Abkühlung veränderten sich die Lebensräume; die immergrünen geschlossenen Wälder wichen offeneren Waldländern mit wintergrünen aber frostempfindlichen oder blattabwerfenden Bäumen. Basierend auf detaillierten Analysen diverser Merkmale der Backenzähne kommen Fachleute zu dem Schluss, dass sich Listriodon splendens von verschiedensten Pflanzenteilen niedrigwüchsiger Vegetation ernährt hat, aber ohne den Boden nach Nahrung zu durchwühlen, wie es heutige Schweine tun. Der Sexualdimorphismus der oberen Eckzähne deutet zudem auf ein Sozialverhalten hin, wie es für Schweine offenerer Lebensräume typisch ist.
Die Backenzähne von Listriodon sind in Form und Funktion denen von Tapiren sehr ähnlich. Diese Ähnlichkeit ist allerdings nicht auf nahe Verwandtschaft, sondern auf eine biologische Konvergenz, also gleiche Anpassung aufgrund eines ähnlichen evolutiven Selektionsdrucks, zurückzuführen. Man geht davon aus, dass Listriodon splendens eine ähnliche ökologische Nische besetzte wie Tapire heute. Mit weiterer Öffnung der Waldländer und Entstehung ausgedehnter Grasländer zu Beginn des Oberen Miozäns veränderte sich das Nahrungsangebot und Listriodon splendens starb aus.
Gertrud E. Rössner, München
Abbildung
Abb. 1: Tapirzähniges Schwein Listriodon splendens MEYER, 1846, Unterkiefer, Neogen (Mittelmiozän), ca. 12 Millionen Jahre, Obere Süßwassermolasse, Markt Rettenbach (Schwaben, Bayern); Inv.-Nr. SNSB-BSPG 1929 I 47, Länge x Breite: 26 x 17 cm. Foto: SNSB-BSPG/M. Schellenberger.
Das Faltblatt mit ausführlichen Informationen zum Fossil des Monats steht wie immer auf der Webseite der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie als PDF-Datei zum Download (156 kB) bereit.
Fossil des Monats ist eine regelmäßige Aktion des Paläontologischen Museums München. Hierbei werden jeden Monat besondere Fossilien aus dem Fundus der Staatssammlung ausgestellt und von Wissenschaftlern der Staatssammlung und dem Lehrstuhl Paläontologie und Geobiologie eingehend in Begleittexten und einem Faltblatt erläutert. Die Freunde der Bayerischen Staatssammlung für Geologie und Paläontologie München e.V. unterstützen diese Aktion.


Foto: SNSB-BSPG/M. Schellenberger