Fossil des Monats Juli 2021

Glasschwamm

Placotelia marcoui (Étallon, 1860), SNSB-BSPG 1976 I 206

Oberjura: Kimmeridgium, ca. 155 Millionen Jahre, Lacunosamergel-Formation, östl. Schwäbische Alb, Zipplingen/Ries, Baden-Württemberg

Durchmesser des Fossils: 40 cm

Schwämme (Tierstamm: Porifera) sind multizelluläre Organismen mit relativ wenigen unterschiedlichen Zelltypen. Sie besitzen keine regelrechten Gewebe und auch kein Nervensystem. Dafür zeichnen sie sich durch eine enorm hohe Regenerationsfähigkeit aus. Drücken Sie einen lebenden Schwamm durch ein Seidennetz, so formiert er sich auf der anderen Seite wieder zu seinem ursprünglichen Aussehen.

Schwämme sind im Allgemeinen am Grund von Gewässern siedelnde Organismen, die Kleinstlebewesen als Nahrung aus dem Wasser filtrieren. Sie funktionieren im Idealfall als durchströmter Hohlkörper mit einer porösen Wand und einem zentralen Kanal, der das einströmende Wasser nach oben aus dem Schwamm herausleitet.

Die meisten Schwämme haben ein Skelett, welches im einfachsten Fall ein kolloidales Gel sein kann. Häufig besteht es allerdings aus einer hornigen Substanz (Spongin) oder aus kalkigen und/oder kieseligen Nadeln (Spicula). In besonderen Fällen können Schwämme zusätzlich zu den Nadeln auch massive Kalkskelette ausbilden. Glasschwämme (Hexactinellida) besitzen ein Nadelskelett aus Opal-Kieselsäure mit großen (Makroskleren) und kleinen Nadeln (Mikroskleren).

Schwämme lassen sich weit über 600 Millionen Jahre in der Erdgeschichte zurückverfolgen. Sie gehören damit zu den ältesten vielzelligen Tieren.

Das Fossil des Monats Juli, der Glasschwamm Placotelia marcoui (Étallon, 1860), stammt aus der oberjurassischen Lacunosamergel-Formation bei Zipplingen am östlichen Rand der Schwäbischen Alb in der Nähe des Nördlinger Ries. Tellerförmige Glasschwämme wie das hier vorgestellte Exemplar können Durchmesser von 1-2 Metern erreichen. Der Schwamm liegt in kalkiger Erhaltung vor. Die ursprünglich kieseligen Nadeln des Schwammskeletts wurden rasch nach dem Tod des Schwammes in einem mikroalkalischen Milieu in Kalk bzw. Kalziumkarbonat umgewandelt. In der Regel bleiben bei diesem Umwandlungsprozess die Skelettstrukturen zumindest zum Teil erhalten und lassen sich mit der Lupe oder unter dem Mikroskop erkennen. Typischerweise handelt es sich bei den Glasschwämmen um streng rechtwinklig angeordnete Nadelgerüste.

Mitteleuropa zur Oberjura-Zeit (Kimmeridgium)

Der süddeutsche Raum mit der Schwäbischen und Fränkischen Alb lag in der Oberjura-Zeit am Nordrand des Ur-Mittelmeeres, der Tethys, und war Teil eines ca. 7000 km langen Riffgürtels, der sich vom heutigen Ostspanien bis nach Polen erstreckte. Der Riffgürtel bot ideale Bedingungen für das Wachstum der Glasschwämme. Die Schwämme siedelten zumeist in tieferen Schelfarealen in ungefähr 80 bis 100 m Wassertiefe. Diese Vorstellung wird unterstützt durch heute lebende Glasschwamm-Riffe, die zu Beginn der 2000er Jahre vor der Westküste Kanadas entdeckt wurden und in einem Wassertiefenbereich von 160-240 m wachsen. Obwohl gewisse Unterschiede in Struktur und Zusammensetzung bestehen, können diese Riffe als heutige Äquivalente der oberjurassischen Schwamm-Riffe Süddeutschlands angesehen werden.

Martin Nose, München

Abbildungen:

Abbildung 1: Der Glasschwamm Placotelia marcoui (Étallon, 1860), SNSB-BSPG 1976 I 206, Foto: SNSB-BSPG/M. Schellenberger.

Abbildung 2: Mitteleuropa zur Oberjura-Zeit (Kimmeridgium) am Nordrand des Ur-Mittelmeeres, der Tethys (verändert nach Schmid et al. 2005).

Das Fossil des Monats jetzt auch als Film: Link zu YouTube.

Das Faltblatt mit ausführlichen Informationen zum Fossil des Monats steht wie immer auf der Webseite der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie als PDF-Datei (1,6 MB) zum Download bereit.

Fossil des Monats ist eine regelmäßige Aktion des Paläontologischen Museums München. Hierbei werden jeden Monat besondere Fossilien aus dem Fundus der Staatssammlung ausgestellt und von Wissenschaftlern der Staatssammlung und dem Lehrstuhl Paläontologie und Geobiologie eingehend in Begleittexten und einem Faltblatt erläutert. Die Freunde der Bayerischen Staatssammlung für Geologie und Paläontologie München e.V. unterstützen diese Aktion.