Fossil des Monats Juni 2023

Getigerte Ur-Muräne

Paranguilla tigrina (AGASSIZ, 1839)

SNSB-BSPG 1959 I 216

Paläogen (Eozän), ca. 50 Millionen Jahre, Monte Bolca, Vicentin, Oberitalien

Das ausgestellte Fossil gehört zu den Aalartigen (Anguilliformes) und stellt nach neuesten Erkenntnissen vermutlich eine Ur-Muräne dar. Die Anguilliformes ist eine über 900 Arten umfassende Ordnung der Knochenfische (Osteichthyes). Sie sind durch einen langgestreckten, schlangenförmigen Körper mit einer Wirbelsäule aus bis zu ca. 750 Wirbeln gekennzeichnet. Sie besitzen keine Bauchflossen und die Brustflossen können ebenfalls reduziert sein. Hingegen sind die Rücken- und Analflosse saumartig verlängert und gehen in die Schwanzflosse über. Der Körperbau und die spezielle Bauweise der Rumpfmuskulatur erlaubt diesen Fischen ein hohes Maß an Beweglichkeit, welche eine Anpassung an strukturell komplexe Lebensräume wie Riffe darstellt.

Die Aalartigen sind weltweit in tropischen und subtropischen Meeren in Tiefen von bis zu 5000 Metern verbreitet. Einzige Ausnahme stellen die Flussaale (Anguillidae) dar, welche nur zum Laichen ins Meer wandern. Die fast ausschließlich nachtaktiven Raubfische mit hervorragendem Geruchssinn ernähren sich neben Fischen, Insekten und Krebsen auch von Tintenfischen.

Die ältesten fossilen Anguilliformes stammen aus der unteren Oberkreide (ca. 94 Millionen Jahre) des Libanon. Die heutigen Linien entwickelten sich jedoch erst am Ende der Kreide und im Paläogen. Eine der berühmtesten Lokalitäten, mit besonders hoher Diversität an Aalartigen, ist die eozäne, ca. 50 Millionen Jahre alte Fundstelle Pesciara (»Fischschüssel«) in der Nähe von Verona. Neben Paranguilla tigrina sind 15 weitere aalartige Arten nur von hier nachgewiesen.

Pesciara (ehemalige Bezeichnung Monte Bolca) ist bereits seit Mitte des 16. Jahrhunderts für seine exquisit erhaltenen Fische – meist sogar mit Weichteilerhaltung und sogar Pigmentierung – bekannt und ist Teil der Bolca Fossil-Lagerstätte. Die feine Laminierung des Sediments, die Fossilienvergesellschaftung sowie die Erhaltung sprechen dafür, dass die Ablagerung innerhalb eines ehemaligen tropischen, küstennahen Beckens oder breiten Schelfs am westlichen Rand des ehemaligen Tethys-Meeres unter Sauerstoffarmut stattgefunden hat.

Paranguilla tigrina, Agassiz 1839

Paranguilla tigrina wurde 1839 durch den berühmten Ichthyologen LOUIS AGASSIZ in seinem fundamentalen Werk »Recherches sur les Poissons Fossiles« zunächst unter dem Namen Enchelyopus tigrinus beschrieben, später jedoch in Paranguilla umbenannt. Das Ausstellungsstück wurde 1959 durch Erminio Cerato, den Eigentümer des Fossil-Museums von Bolca und der Fundstelle Pesciara, an die Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie München verkauft.

Insgesamt wurden aus der Bolca Fossil-Lagerstätte bereits über 500 Arten an landlebenden Wirbeltieren, Fischen, Insekten, marinen Wirbellosen und Pflanzen geborgen. Die hohe Artenvielfalt suggeriert, dass die Region um Bolca einen ehemaligen Biodiversitäts-Hotspot darstellt, vergleichbar dem heutigen Indo-Pazifik. Darüber hinaus bezeugt die Lagerstätte das erste Auftreten vieler Fischlinien, welche in heutigen Korallenriffen leben. Da sich moderne Riffgemeinschaften vermutlich erst später im Miozän entwickelten, bietet die Bolca Fossil-Lagerstätte ein einzigartiges »Fenster« in die frühe Phase der Riff-Entwicklung.

Melanie Altner, München

Abbildungen:

Abb. 1: Ur-Muräne Paranguilla tigrina mit deutlicher original Pigmentierung, Monte Bolca, Vicentin, Oberitalien, SNSB-BSPG 1959 I 216, Länge: 23,5 cm Höhe: 2,0 cm Breite: 23,0 cm. Foto: I. Hausmann.

Abb. 2: Mittelmeermuräne Muraena helena aufgenommen vor Spanien. Foto: Josef Vilanova – josefvilanova, Quelle: https://www.inaturalist.org/photos/102663502; Lizenz: Creative Commons CC BY-NC 4.0.

Abb. 3: Zeichnung des Holotyps (Platte und Gegenplatte; BOL 36 & BOL 37) von Paranguilla tigrina angefertigt von J. DINKEL für LOUIS AGASSIZ aus dem Werk Recherches sur les Poissons Fossiles Band 5 von 1839. Das typische getigerte Muster auf der Rücken- und Analflosse ist deutlich zu erkennen. Der Holotyp ist Teil der Sammlung des Nationalen Naturkundemuseums Paris.

Das Faltblatt mit ausführlichen Informationen zum Fossil des Monats steht wie immer auf der Webseite der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie als PDF-Datei zum Download (162 kB) bereit.

Fossil des Monats ist eine regelmäßige Aktion des Paläontologischen Museums München. Hierbei werden jeden Monat besondere Fossilien aus dem Fundus der Staatssammlung ausgestellt und von Wissenschaftlern der Staatssammlung und dem Lehrstuhl Paläontologie und Geobiologie eingehend in Begleittexten und einem Faltblatt erläutert. Die Freunde der Bayerischen Staatssammlung für Geologie und Paläontologie München e.V. unterstützen diese Aktion.